Der Wanderer

Impuls 010 - Geschichte - Der Wanderer

Download als mp3

Impulsfragen an den geneigten Leser:
  • Welche Lasten schleppst Du durch Dein Leben?
  • Was ist ein nächster gut Schritt, um das eine oder andere loszulassen?
  • Wann hast Du Dich zuletzt frei und leicht gefühlt?

Ein Wanderer schleppte sich mühselig auf einer scheinbar unendlichen staubigen Straße dahin. Er war über und über mit Säcken und Lasten behangen. Ein schwerer Sandsack hing an seinem Rücken, um seinen Körper hatte er einen dicken Wasserschlauch geschlungen. In der rechten Hand schleppte er einen schweren Stein, in der linken hielt er einen Geröllbrocken. Um seinen Hals baumelte an einem dicken Strick ein alter Mühlstein. Um seine Fußgelenke waren rostige Ketten geschlungen, an denen er schwere Gewichte durch den Staub schleifte. Auf dem Kopf balancierte er einen halbfaulen Kürbis.

Bei jedem seiner Schritte klirrten die Ketten, ächzend und stöhnend schleppte er sich voran, wobei er über sein hartes Schicksal klagte und die Müdigkeit, unter der er ständig litt.

Auf seinem Weg begegnete ihm in der glühenden Mittagshitze ein Bauer, der ihn fragte „Oh, müder Wanderer, warum belastet du dich mit diesem Felsbrocken?“ „Ja, du hast Recht, das habe ich noch gar nicht bemerkt“, antwortete der Wanderer. Er warf den Steinbrocken weit von sich und fühlte sich gleich viel leichter.

Nach einer Weile begegnete er einem anderen Bauern, der ihn fragte „Sag, müder Wanderer, warum plagst du dich so sehr mit diesem halbfaulen schweren Kürbis ab und diesen schweren Eisenketten, die du hinter dir herziehst?” Der Wanderer antwortete: „Ich bin so froh, dass du mich darauf aufmerksam machst. Ich habe bisher gar nicht bemerkt, was ich mir damit antue“ sagte er und schüttelte die Ketten ab, zerschmetterte den Kürbis im Straßengraben. Und gleich fühlte er sich leichter.

Doch schon nach kurzer Zeit begann sein Leiden von Neuem. Da kam ein Bauer gerade vom Feld und betrachtete den Wanderer erstaunt. „Oh, guter Mann, du trägst ja Sand im Rucksack. Was du dort vorn in der Ferne siehst ist Sand, nichts als Sand – mehr als du jemals tragen konntest. Und dann dein Wasserschlauch? Als wolltest du die Wüste Kawir durchqueren! Dabei fließt doch genau neben dir ein klarer Fluss, der deinen Weg noch lange begleiten wird.“ „Danke dir, Bauer, jetzt merke ich, was ich mit mir herumgeschleppt habe.“ Mit diesen Worten riss der Wanderer den Wasserschlauch auf, dessen brackiges Wasser sofort im Boden versank und füllte mit dem Sand aus seinem Rucksack ein Schlagloch in der Straße.

Sinnend stand er da und schaute auf die untergehende Sonne. Die letzten Sonnenstrahlen schickten ihm die Erleuchtung. Er blickte an sich herab und sah den schweren Mühlstein an seinem Hals. Da bemerkte er, dass es der Stein war, der ihn so nach unten zog. Er band ihn los und warf ihn so weit er nur konnte. Befreit von all seinen Lasten schritt er leichten Fußes durch die Abendkühle, um eine Herberge zu finden.

Aus “Der Kaufmann und der Papagei” von Nossrat Peseschkian.

Herzlichst Michael Göhring, info@innenfokus.de