Der Adler

Impuls 002

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Fragen zum Nachwirken:
  • Was sind Sie in Ihrem Herzen, in Ihrer wahren Natur?
  • Was erzählt man Ihnen, wer oder was Sie sind? Wer erzählt Ihnen das?
  • Wie weit geht Manipulation und wo hat sie ihre Grenzen?
  • Wie ist der Weg aus der Manipulation in die Freiheit und zu sich selbst?

Ein Mann – so wird erzählt – ging in einen Wald, um nach einem Vogel zu suchen, den er mit nach Hause nehmen könnte. Er fing einen jungen Adler, nahm ihn mit nach Hause und steckte ihn zu seinen Hühnern in den Hühnerstall. Er gab ihm Hühnerfutter zu fressen, obwohl er doch ein Adler war, der König der Vögel, der König der Lüfte!

Nach fünf Jahren kam einmal ein naturkundigen Mann zu Besuch. Als die Männer miteinander durch den Garten gingen, fiel ihm der Adler sofort auf und er sagte: “Der Vogel dort ist kein Huhn, sondern ein Adler.” “Ja”, sagte der Mann, “das stimmt, aber ich habe ihn zu einem Huhn erzogen. Er ist jetzt kein Adler mehr, sondern ein Huhn.” “Nein”, sagte der andere, “er ist noch immer ein Adler, denn er hat das Herz eines Adlers und das wird ihn hoch hinauf fliegen lassen in die Lüfte”. „Nein, nein” sagte der Mann, “er ist jetzt ein richtiges Huhn und wird niemals mehr wie ein Adler fliegen”. Darauf beschlossen sie, eine Probe zu machen. Der naturkundliche Mann nahm den Adler, hob ihn in die Höhe und sagte beschwörend: “Vogel, der du ein Adler bist, der du dem Himmel gehörst und nicht dieser Erde – breite deine Schwingen aus und fliege!”

Der Adler auf der hoch gestreckten Faust blickte sich um. Hinter sich sah er die Hühner nach ihren Körnern picken und er sprang zu ihnen hinunter und pickte mit nach den Körnern. Der Mann sagte: “Ich habe dir gesagt, er ist ein Huhn.” Der naturkundige Mann gab aber noch nicht auf. “Nein”, sagte er, “er ist ein Adler. Ich versuche es morgen noch einmal.”

Am nächsten Tag stieg er mit dem Adler am Arm auf das Dach des Hauses, hob ihn empor und sagte: “Adler, der du ein Adler bist, breite deine Schwingen aus und fliege!” Aber als der Adler wieder die scharrenden Hühner im Hofe erblickte, sprang er abermals zu ihnen hinunter und scharrte mit ihnen.

Da sagte der Mann wieder: “Ich habe es dir ja gesagt, er ist ein Huhn und er bleibt ein Huhn.” “Nein”, sagte der andere, “Er ist ein Adler und er hat noch immer das Herz eines Adlers. Lass es uns noch ein einziges Mal versuchen. Morgen werde ich ihn fliegen lassen.”

Am nächsten Morgen erhob er sich früh, nahm den Adler und brachte ihn hinaus aus der Stadt, weit weg von Häusern an den Fuß eines hohen Berges. Die Sonne stieg gerade auf, sie vergoldete den Gipfel des Berges, jede Zinne erstrahlte in der Freude eines wundervollen Morgens. Er hob den Adler empor und sagte zu ihm: “Adler, du bist ein Adler. Du gehörst dem Himmel und nicht dieser Erde. Breite deine Schwingen aus und fliege!”

Der Adler blickte umher, zitterte, als erfülle ihn neues Leben, aber er flog nicht. Da ließ ihn der naturkundige Mann direkt in die Sonne schauen und plötzlich breitete der Adler seine gewaltigen Flügel aus, erhob sich mit dem Schrei eines Adlers in die Luft, flog höher und höher und kehrte nie wieder zurück.”

Von James Aggrey.

Herzlichst Michael Göhring, info@innenfokus.de